Zwischen transdisziplinärer Klangforschung & zukunftsorientierter Bildung
Transdisziplinäres Arbeiten mit Studierenden aus den unterschiedlichsten Fächern.
Udo Noll führte die Teilnehmenden in eine breite Palette von DIY-Aufnahmegeräten ein und stellte auch seinen eigenen Prototyp vor.
radio earth - Remote recording and streaming in the context of ecological awareness
Wann
9., 10. und 19. Juni 2023
Wo
UNI.K - Studio für elektroakustische Komposition, Klangkunst und Klangforschung der UdK Berlin
Lehrende
Udo Noll, Kirsten Reese
Art/Umfang
dreitägiger Workshop (à 7 Std./Tag)
Studierende/Studiengänge
Elektroakustische Komposition, Lensbased Class, Experimental Film, Bildende Kunst, Institut für Kunst im Kontext (IFKIK), Jazz Institute Berlin (JIB)
Beteiligung InKüLe
finanzielle Unterstützung für Workshop Leiter
Begleitet / reflektiert von
Maria Kyrou
Wie bereichert die Praxis der Remote-Aufnahme und des Live-Streamings unsere Wahrnehmung und unser Hören von Landschaften?
Wie können webbasierte Plattformen und DIY-Aufnahmemedien dies unterstützen?
Welche künstlerischen und sozialen Praktiken gehen hieraus verändernd hervor?
Workshop – Konzept und Kontext:
Ästhetische, mediale Praktiken des ökologischen Bewusstseins
Als einer von zwei durch InKüLe unterstützen Workshops gehörte der Workshop von Kirsten Reese mit dem Klangkünstler Udo Noll zur Seminarreihe Elektroakustische Komposition, die im UNI.K - Studio für elektroakustische Komposition, Klangkunst und Klangforschung ihren Ort hat. (siehe auch https://www.udk-berlin.de/universitaet/unik-studio-fuer-elektroakustische-komposition-klangkunst-und-klangforschung/lehrveranstaltungen/) Als transdisziplinärer Hörraum konzipiert führt das UNI.K die Bereiche elektroakustische Komposition, Klangkunst und Klangforschung zusammen (https://www.udk-berlin.de/universitaet/unik-studio-fuer-elektroakustische-komposition-klangkunst-und-klangforschung/), um sie für eine zukunftsweisende Ausbildung auszugestalten. Udo Noll selbst versteht sich als Field Recordist und Klangkünstler und ist zudem diplomierter Ingenieur für Film, Fotografie und Medientechnik. Vor dem Hintergrund seiner künstlerischen und wissenschaftlichen Ausbildung fächerte er das Themenspektrum des Workshops durch theoretische, philosophische, ästhetische und aktivistische Fragestellungen auf, um Konzepte von Soundscape Aufnahmen auf geteilten Plattformen zu diskutieren.
Im Mittelpunkt des Workshops standen Fragen nach der affektiven Kraft von Feldaufnahmen und ihrem Potential, unserer Wahrnehmung von Landschaft und urbanem Raum einen reflektierten Echoraum zu geben. Die im Seminar durch Live-Streaming aufgenommenen Klanglandschaften geben auf ihre Weise den eigenen Aktivitäten im Raum ein Echo und zeigen damit unsere Verwobenheit mit den Landschaften und urbanen Räumen auf, in denen wir leben. So umfasste der Workshop lange Hörsitzungen der Echtzeit-Streams und lud die Teilnehmer: innen dazu ein, sich bewusst Zeit zu nehmen, um in die jeweiligen Atmosphären einzutauchen.
Workshop Inhalt & Struktur:
Landschaften in Echtzeit anhören: Medienaufzeichnung und Live-Streaming
Der Workshop fächerte sich in seinem Verlauf in ästhetische Fragestellungen, Theorien zur Wahrnehmung und philosophischen Ansätze kombiniert mit aktivistischen Praktiken, dem Einsatz von DIY-Elektronik und der Wartung von Webplattformen auf, wodurch konzeptionelle Dimensionen mit den praktischen Facetten des Themenfeldes in Beziehung kamen. Dieser transdisziplinäre Ansatz fand in der ebenso transdisziplinären Gruppenstruktur der Workshop-Teilnehmer: innen eine willkommene Resonanz. Zu den Studierenden der elektroakustischen Komposition gesellten sich Teilnehmende aus der Lensbased Class, dem Experimentalfilm, der Bildenden Kunst sowie den Instituten Art in Kontext und Jazz.
Der Workshop gliederte sich angesichts des breiten Themenfeldes in drei Phasen, aufgeteilt auf drei Tage:
Tag 1
Der erste Tag begann mit einer umfassenden Einführung in das Thema durch Udo Noll. Er erläuterte sein wachsendes Interesse an Webplattformen in seiner Arbeit, die verschiedene Aspekte netzwerkbasierter Zugänge wie auch analoge Kartografieverfahren des urbanen Raums umfasst. Zudem gab er einen Überblick über die Praxis des Field-Recordings und des Echtzeit-Streamings von Landschaften, die konzeptionell in der Soundscape Ecology und des Umweltschutzes verankert sind. Für die konkrete Arbeit im Seminar stellte Udo Noll verschiedene Arten von Open-Source-Hardware vor, die von kommerziellen Produkten bis zu jenen von ihm selbst entwickelten DIY-Aufnahme- und Live-Streaming-Systemen reichten. Der Workshop ging nahtlos vom theoretischen Input zur praktischen Anwendung über: die Teilnehmenden gingen als erstes in den Garten des Gebäudes und dort mit den Geräten experimentierten.
Tag 2
Der zweite Workshoptag widmete sich der Erkundung des städtischen Raums vor Ort. An zwei verschiedenen Orten wurden die Aufnahme- und Streaming-Apparate aufgestellt, wobei die Auswahl der Orte dem Konzept der „dritten Natur“ folgten, d.h. in ihren Gebieten trifft ein städtischer Charakter auf ein natürliches Umfeld: Der erste Standort befand sich am Rande des Tempelhofer Feldes und galt als 'Floating University', der zweite befand sich im Zoologischen Garten zwischen Spree und Tiergarten. An beiden Orten unternahmen die Teilnehmenden lange sinnesintensive Spaziergänge des Hörens durch die Landschaft, um verschiedenen Modi klanglicher Qualitäten wahrzunehmen und unterschiedliche Klangquellen miteinander in Beziehung zu setzen. Am Tempelhofer Feld wurde das Aufnahmegerät z.B. so platziert, dass man neben den menschlichen Gesprächen auch den nahen gelegenen Bienenstock und eine Schar Dun-Krähen hören konnte.
Spaziergänge durch den urbanen Raum schärften die Sinne für verschiedene Klangquellen und akustische Qualitäten.
Tag 3
Die Zeit vor dem dritten Workshoptag diente den Teilnehmenden als Reflexionsphase, um über die Plattform radio aporee die Live-Streams vom Tempelhofer Feld wiederholt nachhören zu können. Der letzte Tag diente der gemeinsamen Reflexion. An einem runden Tisch tauschten sich Tutoren und Teilnehmende über ihre Erfahrungen mit der gestreamten Klanglandschaft aus, lasen sich gegenseitig prosaische Texte ihrer Hörerfahrung vor und tauchten in eine gemeinsame Hörsitzung ein – untersetzt mit Momenten der Stille.
Mediendidaktische Reflexion
1_ Technologien, Narrationen, Assoziationen
Schaffung eines inspirierenden Kontextes für die eigene künstlerische Praxis
radio aporee is an ongoing experiment exploring sonic topographies, affective geographies and new practices related to sound/art and radio. It operates with an extended notion of the field, wherein radio is both a technology in transition and a narrative. Udo Noll
Die Verwebung theoretischer – ob philosophisch, ästhetisch, politisch oder historisch – Zugänge mit den angewandten Praktiken der Echtzeit-Aufnahme und des Streaming über eine webbasierte Plattform – war äußerst inspirierend für die Teilnehmenden. Angesiedelt in einem größeren Umfeld an Erzählungen wurden die technologischen Anwendungsaspekte gleichwertig mit intuitiven Assoziationen verbunden. Auf diese Weise nahm Udo Noll die Teilnehmenden mit auf eine konzeptionelle Reise und zeigte auf, wie die digitale Plattform radio aporee ihre Wurzeln in den mitunter narrativen Strukturen analoger Medien und Praktiken wie Kartografie und Radio hat. So kartographierten Seefahrer des 16. Jahrhunderts beispielsweise physisch nichtexistierende Orte, galten sie ihnen doch als Sehnsuchtsorte etwa dort lebender Menschen, die sie verlassen mussten. Medien wohnt die Kraft des Imaginären bei, wie Noll betonte, wie etwa auch das Radio ein Frequenztableau seiner Antennenstandorte aufspannt, die als eine fiktive Topografie lesbar ist.
Dieser Zugang ermutigte die Studierenden, ihre eigenen künstlerischen Arbeiten konzeptionell zu verorten und als Teil ihrer kreativen Praxis zu begreifen, bereichert gerade eine assoziative und vielseitige Denkweise die eigenen Praxeologien.
2_ Das Potential gewählter Medien
Zugleich legte der Workshop einen Schwerpunkt auf die technische Erkundung des ausgewählten Mediums. Neben der Einführung in die verschiedenen Funktionen der Webplattform bezog Noll eine Vielzahl sozialer und empirischer Beobachtungen mit ein. So hatte ihn erstmals ein Gefühl „der Leere zwischen den Räumen“ zu diesem Projekt angeregt – ein Ereignis, das mit der Veröffentlichung von Google Maps 2000 zusammenfiel. Aspekte der technischen Pflege einer solchen Plattform wurden in Hinsicht auf die Qualität der Aufzeichnungen ebenso besprochen wie Fragen zur Bedeutung einer offenen und kollektiven Autorenschaft. Auch Praktiken und die Bildung von Gemeinschaften durch die Plattform wurden diskutiert, die aus ihrer Möglichkeit hervorgeht, Landschaftsaufnahmen über einen langen Zeitraum hinweg zu hören, aber auch ein globales Soundscape-Radio basierend auf künstlerischen Kollaborationen zu entwickeln.
Die Plattform verwebt die Klanglandschaften zu neuen Zeit- und Raumqualitäten und schafft Orte, an denen das „Hier und Jetzt“ gedehnt, vernetzt und in eine neue Art von räumlicher Besonderheit verwandelt wird. Genau in diesem fließenden und einheitlichen Bereich können neue Konzepte und Praktiken entstehen, nämlich eine Art von Innovation, die über das Technische hinausgeht.