Sense-making across the disciplines
sessions_vr lab
Wann
8. Februar, 2024
Wo
Zürich ZHdK, Toni Areal
Konzeption
InKüLe Team
Lehrende
Maria Kyrou, Mariam Rafehi, Franz Sieble
Teilnehmende
transdisziplinäres, hochschulweites Format
Beteiligt
Sabine Huschka, Maria Kyrou, Mariam Rafehi, Franz Siebler, (VR-Planung, mediendidaktische Konzeption, medientechnische Ausführung, Lehre & Auswertung), Pia Stelzer (fotografische Dokumentation)
Text
Sabine Huschka, Maria Kyrou, Franz Siebler
Sessions_vr – auf Reisen: Konferenzpräsentation eines Workshopformats
Über Vorstellungen von Seltsamkeit sinnstiftender Realitäten
Das E-Learning Zentrum der Zürcher Hochschule der Künste lud das Projekt InKüLe im Februar 2024 zu einer Präsentation seiner Arbeitsansätze ein, um auf der LaborDigital-Konferenz in Zürich – organisiert von Charlotte Axelsson und Mela Kocher – ein Workshopformat anzubieten. Unter dem Titel „Between Technology and Weirdness“ (Zwischen Technologie und Seltsamkeit) widmete sich die Konferenz den Unvorhersehbarkeiten und dem durchaus Seltsamen neuer Technologien in ihren Auswirkungen auf den Hochschulalltag und die Hochschulbildung. InKüLe befragte in seinem Workshop „sessions_vr lab – Sense-making Across Realities“ dabei die kreativen, psychogeografischen und oft seltsamen Gestaltungseffekte virtueller Welten als Teil der künstlerischen Hochschulausbildung. Der Workshop schickte hierzu die Teilnehmenden auf eine als Spaziergang – Dérive – konzipierte Reise, auf der verschiedene virtuelle Realitäten in kleinen Gruppen erkundet werden konnten. Dabei begegneten den Teilnehmenden in verschiedenen VRChats ganz im Sinne einer Dérive-Praxis geradezu unheimliche Landschaften: eine Ansammlung obskurer sozialer VR-Räumen, von der Community selbst geschaffen, wie auch diverse Avatare und Interaktionsoptionen.
Auf der Grundlage der bereits entwickelten sessions_vr erarbeitete das InKüLe-Team für das Züricher Labor gestalterische Erweiterungen, die im Sinne seiner Programmatik eine Brücke zwischen verschiedenen Realitäten – seien diese physisch, virtuell oder theoretisch-technisch verankert – schlugen. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Visionen virtuelle Realitäten in die Kunstausbildung tragen können, um diverse, internationale kulturelle Milieus zu schaffen.
Brücken schlagen zwischen Realitäten
Psychogeographien in VRChats
Theoretischer Zugang für eine zeitgenössische virtuelle Kollektivität
Dérive (französisch für „flanieren“) bezeichnet im Sinne von Guy Debords La théorie de la dérive (1956) (Die Theorie der Dérive) eine geradezu bewusst wahrnehmende Bewegungspraxis durch den städtischen Raum fernab gewohnter, alltäglicher und meist funktionaler Fortbewegungsarten. Mit dem Begriff finden dabei auch Arten des Umherirrens und des Umherschweifens durch Räume oder Landschaften Anklang, die nach Debord ein emotionales Geflecht der Auseinandersetzung – eine Psychogeographie – eröffnen und damit geradezu eine experimentelle Neuorientierung und verhaltensprägende Überprüfung gewohnter städtischer Lebensformen ermöglichen, wenn nicht sogar einfordern. Ausgehend von dieser Grundidee entwickelte das InKüLe Team spezifische VRChats und virtuelle Räume, die im Sinne einer angelegten Psychogeographie emotionale Terrains der Orientierungsfindung und Orientierungslosigkeit adressierten. Gestalterisch knüpfte das Team dabei an komplexe Multiplayer-Online-Umgebungen an, deren Mechanismen denen von Spielen und Plattformen wie Second Life oder Mozilla Hubs ähneln. Diese Art von Umgebungen bestehen aus vielfältig miteinander verbundenen Welten, in denen die Spieler:innen über virtuelle Avatare miteinander interagieren können. Avatar-Körper wie auch gestaltete Welten werden von den Nutzer:innen dabei mithilfe eines Software Development Kits für die Unity Game Engine erstellt und hochgeladen. Für den Workshop erstellte InKüLe hiermit eine eigene Welt, um sie als zentralen räumlichen Treffpunkt für die angeleiteten Erkundungen zu nutzen.
Erkundung eines emotionalen Terrains einer VR Plattform
Experimente mit einem VR-Dérive
Kurze Beschreibung des Lehr-Formats
Der Workshop begann mit einer Präsentation und einer konzeptionellen Erklärung im physischen Raum, die konzeptionell mit Projektionen eines VR-Szenariums verschaltet waren, d.h. das Team nutzte die eigens gestaltete VR-Umgebung als großflächig projizierte Hauptszene. Im Weiteren ging das Format nahtlos in die virtuelle Realität (VR) über. Im physischen Raum beobachteten die Teilnehmenden die Workshopleiter:innen zunächst über eine Livestream-Projektion und erhielten erste Anleitungen zur Benutzeroberfläche und den Fortbewegungsmöglichkeiten auf der Plattform. Im nächsten Schritt betrat jede:r Teilnehmende den VR-Raum über ein individuelles VR-Headset und beteiligte sich durch eine 1:1-VR-Perspektive an den Arbeitsabläufen des Workshops.
Schrittweiser Übergang vom analogen zum virtuellen Raum
Nachdem sich alle mit der Umgebung und ihren Avataren vertraut gemacht hatten, öffneten die Workshopleiter:innen ein Portal zu den ersten Welten, die die Teilnehmenden besuchen konnten. Hierbei handelte es sich um kuratierte, ruhige Umgebungen in Form eines Blumenfeldes und einer Wasserfläche. Dort führten die Teilnehmenden die erste Übung durch, bei der sie sich virtuell dehnten (‚Virtual Stretching‘). Sie achteten genau auf ihre neue virtuelle Umgebung und experimentierten mit verschiedenen Avataren, die während der gesamten Erfahrung gewechselt und neu ausgewählt werden konnten. Vor allem ging es darum, dass die Teilnehmenden ihre Erfahrungen in der VR reflektieren und herausfinden, wie die virtuellen Räume selbst und die Möglichkeiten der einzelnen VR-Avatare zu ihrem Gesamterlebnis beitragen.
In der zweiten Übung ging es unterdessen darum, eine lebendige Umgebung zu entdecken, zufällige Begegnungen mit Fremden zu schaffen und im geschaffenen sozialen Umfeld zu interagieren. Die Teilnehmenden traten einer beliebten Bar-Welt bei – als „The Black Cat“ bekannt – und wurden ermutigt, sich aktiv mit anderen Nutzer:innen auseinanderzusetzen und die Erfahrung dieser sozialen VR-Interaktion zu beobachten. Sowohl am Ende jeder Übung als auch am Ende des gesamten Workshops teilten die Teilnehmenden ihre Erfahrungen miteinander und legten ihre Gedanken, Anregungen und Bemerkungen in einem von InKüLe gestalteten „Reflexionsjournal“ schriftlich nieder.
VR-Verkörperung und soziale Erfahrung
Feedback als ästhetische Form der Reflexion
Über Erfahrungen mit Avatar-Körpern & virtuellen Bars
Nach unseren bisherigen Erfahrungen lässt sich das Feedback der Teilnehmenden während eines solchen Workshops am besten einholen, wenn ihnen ein klarer Fragenkatalog als Rahmen für den gemeinsamen Reflexionsprozess angeboten wird. Thematisch folgten die ausformulierten Fragen der zweiteiligen Struktur des Workshops, wobei sich der erste Teil auf das räumliche Bewusstsein und die Verkörperung des Avatars konzentrierte, während der zweite Teil Aspekte der sozialen Interaktion in der VR thematisierte. Dokumentation und Reflexion können jedoch weit mehr widerspiegeln, vor allem wenn künstlerische Perspektiven miteinfließen.
Aufbauend auf dem Gesamtansatz unseres Projekts zu affektiven Formen der Dokumentation wurde ein greifbares physisches Artefakt als Hauptmedium des Reflexionsprozesses entworfen. Es handelte sich dabei um ein gedrucktes, handgenähtes Heft, dessen visuelle Ästhetik zu unserem eigens errichteten VR-Raum passte. Dieses Heft diente als „Reflexionstagebuch“, in dem jede:r Teilnehmende ihre/seine Gedanken während des Workshops festhalten konnte.
Das ausgearbeitete Reflexionsformat erwies sich als äußerst effektiv, da die Teilnehmenden darüber und miteinander viele verschiedene Facetten ihrer je eigenen Workshop-Erfahrungen teilten. Die Avatar-Körperwahrnehmungen überraschten dabei die meisten Teilnehmenden, vor allem angesichts eines sich geradezu unmittelbar einstellenden Gefühls, in die Figuren einzutauchen, wobei das Gespür für den eigenen tatsächlichen Körper als auch für die physische Umgebung vollständig den virtuellen Eindrücken wich. Diese VR-Erfahrung war in hohem Maße von der gewählten Avatar-Figuration beeinflusst und damit für jede:n Teilnehmenden einzigartig und anders. Unabhängig davon, ob es sich um einen menschenähnlichen Avatar handelte oder nicht, waren vor allem Gesamtgröße und Körperhaltung des Avatars entscheidend und beeinflussten maßgeblich die Wahrnehmung des Raumes und die Interaktion mit anderen. Ergänzend hinterfragten die Teilnehmenden die sozialen Eigenschaften der Plattform – gewöhnlich als „soziale VR“ bezeichnet – wie sie in der zweiten Übung im Vordergrund stand. Kernelement der Kritik war, dass sich die im VR Raum angeregten Gespräche oberflächlich und folgenlos anfühlten, wobei einige Teilnehmende die Sinnhaftigkeit des Versuchs in Frage stellten, überhaupt mit völlig Fremden in VR zu kommunizieren. Auch hier wurde deutlich, dass nicht der Raum – also die VR Umgebung – ausschlaggebend für die Beobachtung war, sondern der Bekanntheitsgrad der Menschen untereinander. Hiervon war der Wunsch abhängig, ob man miteinander in Kontakt trat oder eben nicht.
Eigene Reflexionen zum Workshopformat und nächste Schritte
Mediendidaktisch verdeutlichte uns der Workshop spezifische Aspekte der Gestaltung von Plattformen und Avataren in VRChats mit ihren eröffneten sozialen Interaktionen. Insbesondere verwiesen gerade die Diskussionen der Teilnehmenden auf soziale und interaktive Schwachstellen von VRChats, da viele Nuancen unserer physisch-verkörperten Präsenz in VR-Welten fehlen. Insbesondere kleine Gesten wie auch die Mimik von Personen und verschiedene Qualitäten der Körperhaltung bilden ein subtiles Zusammenspiel unserer zwischenmenschlichen Kommunikation, die sich bislang in der ansonsten vielfältigen Gestaltungsvarianz von Avataren nicht repräsentieren lassen. VRChats stellen vor allem – wie jede andere VR-Plattform auch – kein statisches, eindimensionales Werkzeug dar, die einfach einsetzbar sind. VRChats lassen sich nur als komplexe und damit vielschichtige Medien begreifen, die spezifische Handlungsräume und Zugänge erfordern. Um sinnvolle Lernerfahrungen und Experimente mit diesem Medium zu ermöglichen, muss es aktiv für die jeweiligen Fragestellungen und Gestaltungsansätze interpretiert und entworfen werden. Gerade für künstlerische Disziplinen ist die Gestaltung eigener VR-Räume entsprechend der Zielsetzungen der Lehre wichtig, sodass ästhetische und didaktische Aneignungen miteinander abgestimmt werden können.
Die erfolgreiche Durchführung von VR-Workshops hängt maßgeblich von den Vorerfahrungen und Kenntnissen der Teilnehmenden ab. Daher ist es empfehlenswert, die Struktur des Workshops in ihren Lernschritten und Experimentalanordnungen einfach und anpassungsfähig zu halten. Zudem möchten wir eine kooperative Zusammenarbeit zwischen mehreren beteiligten Workshop-Leiter:innen ausdrücklich empfehlen. Besonderes Augenmerk sollte auf der Verbindung von physischen und virtuellen Lernphasen liegen. Wichtig ist auch, mindestens über eine Person für die technische Unterstützung im Workshop-Verlauf zu verfügen.
VRChats als offenes Medium weitgefächerter Interpretationen
Das Format sessions_vr wird mit vereinzelten Sessions fortgesetzt, die sich einer Mischung aus virtuellen Synthesizern und gemeinsam erschaffenen Avatarkörpern widmen:
sessions_vr 6: „Virtual Vibrations“ angeboten von den Gast-Tutorinnen Paula Strunden & Viviana Defazio
sessions_vr 7: Sketching Avatar Bodies & Wearing One's Own Creation